Die alte INTERFLUG im www
Historische Betrachtungen zur einstigen DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG

last updated:
23.09.2016


Revision 3.0
DM-SCD

Startseite zurück Video zum Absturz
DM-SCD
Die TU-134 Normalvariante DM-SCD hier in einer frührern Aufnahme beim Boarding der PAXei.

Autor: Gerd Ritter

Am 1. September des Jahres 1975 startete am frühen Morgen die TU-134 DM-SCD von Stuttgart in Richtung Leipzig.
Es war die Woche der Herbstmesse und die INTERFLUG stellte mit ihren TU-134 sogenannte Tagesrandverbindungen für die westdeutschen Geschäftleute und Besucher, welche die Messe aufsuchen wollten, zur Verfügung. Ein absolute Ausnahme im deutsch-deutschen Luftverkehr, den es ja an sich nicht gab, sondern den Siegermächten des 2. Weltkrieges vorbehalten war. Nur zweimal im Jahr gab es diesen Messeflugverkehr, mit Direktflügen in die BRD und teilweise Überflügen des BRD-Luftraums zu und von Zielen in Westeuropa. Die INTERFLUG-Besatzungen waren sowohl hinsichtlich der Qualifikation wie auch der politischen "Zuverlässigkeit" ausgesucht und vorbereitet worden.

Die Besatzung des Kommandanten Hans K., zu der auch Copilot Claus N. und Navigator Roland N. gehörten, hatte in der Umgebung von Stuttgart übernachtet. Die Nacht war kurz gewesen. War man doch erst am Vorabend am Flughafen von Stuttgart auf der 1966 auf 2550m verlängerten einzigen Landebahn gelandet.

Wie so oft und gerade zur Messezeit im Herbst und im Fühjahr, gab es in den Morgenstunden eingeschränkte Sichtweiten durch Kondensationsnebel, eben keine VFR-Bedingungen.

Doch ein sicherer Ausweichflughafen war gefunden und ausreichend Kraftstoff für einen solchen Fall an Bord. Der Flug konnte regulär angetreten werden.
Das Instrumentenlandesystem ILS war leider an diesem Morgen für die Landerichtung 29 nicht verfügbar und man führte einen radargeleiteten Anflug durch.
Zum Einsatz für diesen PAR-Anflug gelangte eine mobile Radarstation vom Typ RSP-7 aus sowjetischer Produktion, welche Tage vor der Messe vom Flughafen Dresden nach Leipzig-Schkeuditz beordert wurde und dort vom INTERFLUG-Meßflugzeug eingemessen wurde.
Mit der Station kam auch der Dresdener Radarflugleiter Helmut D. nach Leipzig, da er als einer der erfahrensten PAR-Lotsen beiINTERFLUG galt.
(Die Flugsicherung war in der DDR ein Betriebsteil derINTERFLUG).
PAR

Nachdem die Maschine von Leipzig-Anflug an den PAR-Flugleiter übergeben worden war, führte dieser das Flugzeug mit genauen Kurs- und Sinkanweisungen auf einem gedachten Endanflugweg zur Landebahn.
Auf zwei Bildschirmen konnte der Flugleiter genau die Abweichungen der Maschine jeweils vom Kurs- und Gleitweg verfolgen und gezielte Korrekturanweisungen übermitteln. Kurskorrekturen wurden in der Regel in der Endphase auf dem Kursweg (Azimut) in 2 Grad Schritten übermittelt, während Sinkraten in der DDR in Meter pro Sekunde angegeben wurden.
Auch das Minimum für diesen Anflug wurde in der DDR in Metern berechnet und veröffentlicht. Der PAR-Anflug gehört wie der ILS-Anflug zu den sogenannten Präzisionslandeanflügen (da sowohl eine elektronische Kurs- wie Gleitebene besteht) und das Minimum war darum vergleichbar auf 800 Meter Sicht und auf eine Entscheidungshöhe von 60 Meter (200 ft) festgelegt.


Diese sogenannte Entscheidungshöhe war hier der springende Punkt.
Der Pilot darf mit dem Erreichen der Entscheidungshöhe den Landeanflug nur fortsetzen, wenn er in dieser Höhe bereits über ausreichende Sichtmarken zur sicheren Fortsetzung des Anfluges verfügt. Diese Sichtmarken sind in der Regel Teile der Anflugbefeuerung, die Landebahnschwellenbefeuerung, sowie die Landebahnbefeuerung selbst, was schon darauf hinweist, dass solche Befeuerungen vorhanden und in Betrieb sein müssen.

Hier eine Anmerkung von Jürgen Ermel:

"Ich wollte nur anmerken, dass es bei dem o. a. Absturz 10 min früher der Besatzung aus Düsseldorf mit der selben Technik, denselben Leuten und bei dem selben Wetter gelang sauber zu landen. Diese Anmerkung wird immer vergessen und damit Raum und Zeit für immer noch böse Spekulationen der Ausrüstung am Flughafen Leipzig 1975 gegeben.
Ich war zu dem Ereignis als Ingenieur zur Frühschicht in LEJ derjenige, welcher das PAR für beide Anflüge eichte und noch dann für die LR 11 zum Anflug der Regierungskommision.

Gruß vom Jürgen Ermel

Zudem müssen diese mit hochintensiven Lichtern ausgerüstet sein. Sogenannte "Sequenz-Flashing-Lights" (Gasentladungslauflichter auf der Anflug-Mittellinie) sind allerdings erst ab der Betriebsstufe II vorgeschrieben und waren in Leipzig mit Sicherheit damals nicht vorhanden. Inwieweit die hochintensive Landebefeuerung in Leipzig damals dem internationalen Standard entsprach, entzieht sich auch unseren Kenntnissen.

Besteht mit dem Erreichen der 60m Flughöhe keine ausreichende Sicht zur Herstellung einer visuellen Orientierung für die Forsetzung des Anfluges und der durchführung der Landung, hat der steuernde Pilot unverzüglich ein Fehlanflugverfahren einzuleiten.
Der steuernde Pilot war an diesem Morgen auf Grund der Wetterbedingungen der Kommandant Hans K. selbst. (gemäß INTERFLUG-Verfahrenstechnologie).
Doch auch der Radarflugleiter muß der Maschine ein Fehlanflugverfahren anweisen, wenn das Flugzeug diese Entscheidungshöhe vorzeitig auf der Gleitebene erreicht oder gar unterschreitet. Die Gleitebene war standardmäßig mit 3 Grad festgelegt.

Radiokompass Für sogenannte Nicht-Präzisionsanflüge existierten in der Anflugrichtung auch zwei ungerichtete Mittelwellenfunkfeuer, welche für die Richtungsanzeigen eines Radiokompasses notwendig waren und damit Informationen zur Landerichtung geben konnten. Beide Sender erforderten hohe Antennen, errichtet auf kleinen Gerätenhäuschen, genau auf der Mittellinie des Anfluges.

Zusammen mit diesen Mittelwellensendern befanden sich an diesen Punkten auch sogenannte Markierungssender (Marker), welche im VHF-Bereich ein Signal aussendeten, welches im Cockpit von einem Empfänger ausgewertet wurde und bei Überflug sowohl ein akustisches wie auch visuelles Signal auslöste.
PAR 8 Antenne

Daran konnte die Crew genau ihre Entfernung zur Landebahn ermessen. Diese Punkte hießen Outer-Marker und Middle-Marker, die Mittelwellenfunkfeuer an den gleichen Punkten nennt man Outer-Locator und Middle-Locator oder in der Kombination Locator-Outer-Marker (LOM) und Locator-Middle-Marker (LMM).

Wohl wissend um die Gefahren solcher Antennen an einem Punkt so kurz vor der Landebahn (etwa im 1000m Bereich) hatte man in der Bundesrepublik solche NDB (Non-Directional-Radio-Beacon) als Middle Locator bereits eliminiert oder gar nicht erst errrichtet. Da die DDR allerdings verstärkt vom russischen System "Große Schachtel", welches auf Locator am 4000m und 1000m Punkt beruht, beeinflußt war, blieben diese Gerätehäuschen und ihre Antennen bestehen.

Am 1. September 1975 sank Kapitän Hans K. unzulässig unter die Entscheidungshöhe von 60m, obwohl er keine ausreichende Sicht erlangte, um den Anflug sicher nach Sichtmarken zur Landung führen zu können. Weder der Radarflugleiter, noch der Navigator, welcher ebenfalls im Anflug für die Flugwegverfolgung verantwortlich war, noch der Copilot, welcher als nicht-steuernder Pilot ebenfalls für die Überwachung des Flugweges und die Einhaltung der Verfahrten verantwortlich war, verhinderten das. Keiner forderte die Einleitung eines Fehlanflugverfahrens (Durchstarten). Das Flugzeug kollidierte mit der Antenne des LMM (was Ausdruck für die präzise Kursführung war) und bekam Bodenberührung, was zum dem tragischen Unfall führte.

Flightdeck
Das abgerissene, relativ unversehrte Cockpit der DM-SCD.
(Sammlung Horst Materna)
Fahrwerk
Hauptfahrwerksgondel und das ausgefahrene Fahrwerk kopftüber nach dem Unfall.
(Sammlung Horst Materna)

Dabei konnten 23 der 29 Fluggäste, sowie die Flugbegleiterinrn (Stewardessen) Heidemarie Johl, Henriette Albrecht und Tosca Graf nur noch Tod geborgen werden. Ein lebend geborgener Fluggast erlag noch später seinen Verletzungen. Das Flugzeug brannte, doch die Feuerwehr konnte durch den aufgeweichten Boden und verschiedenen Drainagegräben nur schwerlich zum Flugzeug vordringen.
Das Cockpit wurde abgerissen und gelangte nicht in Brand, die Cockpitbesatzung überlebte ohne größere Verletzungen das Unglück kamen aber in Untersuchungshaft nach Berlin-Rummelsburg und später vor Gericht.
Alle drei Besatzungsmitglieder, sowie der Radarflugleiter wurden zu unterschiedlichen Haftstrafen verurteilt, welche jedoch später zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt.
Copilot und Navigator flogen nach einigen Jahren wieder bei INTERFLUG, der Kapitän bekam eine Anstellung bei der Flugsicherung, wo er sich bis zum Schichtleiter beim ATCC in Berlin qualifizierte. Der ehemalige Radarflugleiter aus Dresden ist inzwischen verstorben.

Aus dem Unfall wurden eine Reihe von wichtigen Lehren, sowohl für den Flugbetrieb, die Flugsicherung als auch für die Brandbekämpfung und Bergung gezogen.
Nur die LMM wurden erst nach der Wiedervereinigung Deutschland auf allen ostdeutschen Flughäfen abgebaut. Allerdings waren bereits zuvor, vor allem wegen neuerer Technik, die Antennen verkleinert worden.
Nach dem Unfall übernachteten die Besatzungen bei den Messeflügen jeweils zweimal, so dass zwischen der Ankunft am späten Abend und dem Abflug am frühen Morgen ein Tag der Ruhe lag. Das wurde sicherlich von allen beteiligten Crews sehr begrüßt.

Cabin Crew
Der Nachruf auf die drei beim Leipzig-Unfall ums Leben gekommenen Stewardessen der INTERFLUG in der Betriebszeitung "Start".
(Sammlung G.Ritter)
zurück