Die TU-134
Normalvariante DM-SCD hier in einer frührern Aufnahme beim Boarding der PAXei. |
Autor: Gerd Ritter
Am 1. September des
Jahres 1975 startete am frühen Morgen die TU-134 DM-SCD von Stuttgart in
Richtung Leipzig.
Es war die Woche der Herbstmesse und die INTERFLUG stellte mit ihren TU-134 sogenannte Tagesrandverbindungen für
die westdeutschen Geschäftleute und Besucher, welche die Messe aufsuchen
wollten, zur Verfügung. Ein absolute Ausnahme im deutsch-deutschen Luftverkehr,
den es ja an sich nicht gab, sondern den Siegermächten des 2. Weltkrieges
vorbehalten war. Nur zweimal im Jahr gab es diesen Messeflugverkehr, mit
Direktflügen in die BRD und teilweise Überflügen des BRD-Luftraums zu und von
Zielen in Westeuropa.
Die INTERFLUG-Besatzungen
waren sowohl hinsichtlich der Qualifikation wie auch der politischen
"Zuverlässigkeit" ausgesucht und vorbereitet worden.
Die Besatzung des
Kommandanten Hans K., zu der auch Copilot Claus N. und Navigator Roland N.
gehörten, hatte in der Umgebung von Stuttgart übernachtet. Die Nacht war kurz
gewesen. War man doch erst am Vorabend am Flughafen von Stuttgart auf der 1966
auf 2550m verlängerten einzigen Landebahn gelandet.
Wie so oft und gerade zur
Messezeit im Herbst und im Fühjahr, gab es in den Morgenstunden eingeschränkte Sichtweiten durch Kondensationsnebel, eben keine VFR-Bedingungen.
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Doch ein sicherer Ausweichflughafen war gefunden und ausreichend Kraftstoff für
einen solchen Fall an Bord. Der Flug konnte regulär angetreten werden.
Das
Instrumentenlandesystem ILS war leider an diesem Morgen für die Landerichtung 29
nicht verfügbar und man führte einen radargeleiteten Anflug durch.
Zum Einsatz für diesen PAR-Anflug gelangte eine mobile
Radarstation vom Typ RSP-7 aus sowjetischer Produktion, welche Tage vor der
Messe vom Flughafen Dresden nach Leipzig-Schkeuditz beordert wurde und dort vom INTERFLUG-Meßflugzeug eingemessen wurde.
Mit der
Station kam auch der Dresdener Radarflugleiter Helmut D. nach Leipzig, da er
als einer der erfahrensten PAR-Lotsen beiINTERFLUG galt.
(Die Flugsicherung war in der DDR ein Betriebsteil derINTERFLUG).
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Nachdem die Maschine
von Leipzig-Anflug an den PAR-Flugleiter übergeben worden war, führte dieser das
Flugzeug mit genauen Kurs- und Sinkanweisungen auf einem gedachten Endanflugweg
zur Landebahn.
Auf zwei Bildschirmen konnte der Flugleiter genau die
Abweichungen der Maschine jeweils vom Kurs- und Gleitweg verfolgen und gezielte
Korrekturanweisungen übermitteln. Kurskorrekturen wurden in der Regel in der
Endphase auf dem Kursweg (Azimut) in 2 Grad Schritten übermittelt, während
Sinkraten in der DDR in Meter pro Sekunde angegeben wurden.
Auch das Minimum für
diesen Anflug wurde in der DDR in Metern berechnet und veröffentlicht. Der
PAR-Anflug gehört wie der ILS-Anflug zu den sogenannten Präzisionslandeanflügen
(da sowohl eine elektronische Kurs- wie Gleitebene besteht) und das Minimum war
darum vergleichbar auf 800 Meter Sicht und auf eine Entscheidungshöhe von 60
Meter (200 ft) festgelegt.
Diese sogenannte Entscheidungshöhe war hier der
springende Punkt.
Der Pilot darf mit dem Erreichen der Entscheidungshöhe den
Landeanflug nur fortsetzen, wenn er in dieser Höhe bereits über ausreichende
Sichtmarken zur sicheren Fortsetzung des Anfluges verfügt. Diese Sichtmarken
sind in der Regel Teile der Anflugbefeuerung, die Landebahnschwellenbefeuerung,
sowie die Landebahnbefeuerung selbst, was schon darauf hinweist, dass solche
Befeuerungen vorhanden und in Betrieb sein müssen.
Hier eine Anmerkung von Jürgen Ermel:
"Ich wollte nur anmerken, dass es bei dem o. a. Absturz 10 min früher der Besatzung aus Düsseldorf mit der selben Technik, denselben Leuten und bei dem selben Wetter gelang sauber zu landen. Diese Anmerkung wird immer vergessen und damit Raum und Zeit für immer noch böse Spekulationen der Ausrüstung am Flughafen Leipzig 1975 gegeben.
Ich war zu dem Ereignis als Ingenieur zur Frühschicht in LEJ derjenige, welcher das PAR für beide Anflüge eichte und noch dann für die LR 11 zum Anflug der Regierungskommision.
Gruß vom Jürgen Ermel |
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Zudem müssen diese mit
hochintensiven Lichtern ausgerüstet sein. Sogenannte "Sequenz-Flashing-Lights"
(Gasentladungslauflichter auf der Anflug-Mittellinie) sind allerdings erst ab
der Betriebsstufe II vorgeschrieben und waren in Leipzig mit Sicherheit damals
nicht vorhanden.
Inwieweit die hochintensive Landebefeuerung in Leipzig damals
dem internationalen Standard entsprach, entzieht sich auch unseren Kenntnissen.
Besteht
mit dem Erreichen der 60m Flughöhe keine ausreichende Sicht zur Herstellung einer
visuellen Orientierung für die Forsetzung des Anfluges und der durchführung der
Landung, hat der steuernde Pilot unverzüglich ein Fehlanflugverfahren
einzuleiten.
Der steuernde Pilot war an diesem Morgen auf
Grund der Wetterbedingungen der Kommandant Hans K. selbst. (gemäß INTERFLUG-Verfahrenstechnologie).
Doch auch der
Radarflugleiter muß der Maschine ein Fehlanflugverfahren anweisen, wenn das
Flugzeug diese Entscheidungshöhe vorzeitig auf der Gleitebene erreicht oder gar
unterschreitet. Die Gleitebene war standardmäßig mit 3 Grad festgelegt.
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Für sogenannte
Nicht-Präzisionsanflüge existierten in der Anflugrichtung auch zwei ungerichtete
Mittelwellenfunkfeuer, welche für die Richtungsanzeigen eines Radiokompasses
notwendig waren und damit Informationen zur Landerichtung geben konnten. Beide
Sender erforderten hohe Antennen, errichtet auf kleinen Gerätenhäuschen, genau
auf der Mittellinie des Anfluges.
Zusammen mit diesen Mittelwellensendern
befanden sich an diesen Punkten auch sogenannte Markierungssender (Marker),
welche im VHF-Bereich ein Signal aussendeten, welches im Cockpit von einem
Empfänger ausgewertet wurde und bei Überflug sowohl ein akustisches wie auch
visuelles Signal auslöste. |
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Daran konnte die Crew genau ihre Entfernung zur
Landebahn ermessen. Diese Punkte hießen Outer-Marker und Middle-Marker, die
Mittelwellenfunkfeuer an den gleichen Punkten nennt man Outer-Locator und
Middle-Locator oder in der Kombination Locator-Outer-Marker (LOM) und
Locator-Middle-Marker (LMM).
Wohl wissend um die
Gefahren solcher Antennen an einem Punkt so kurz vor der Landebahn (etwa im
1000m Bereich) hatte man in der Bundesrepublik solche NDB
(Non-Directional-Radio-Beacon) als Middle Locator bereits eliminiert oder gar
nicht erst errrichtet. Da die DDR allerdings verstärkt vom russischen System
"Große Schachtel", welches auf Locator am 4000m und 1000m Punkt beruht,
beeinflußt war, blieben diese Gerätehäuschen und ihre Antennen bestehen.
Am 1. September 1975
sank Kapitän Hans K. unzulässig unter die Entscheidungshöhe von 60m, obwohl er
keine ausreichende Sicht erlangte, um den Anflug sicher nach Sichtmarken zur
Landung führen zu können. Weder der Radarflugleiter, noch der Navigator, welcher
ebenfalls im Anflug für die Flugwegverfolgung verantwortlich war, noch der
Copilot, welcher als nicht-steuernder Pilot ebenfalls für die Überwachung des
Flugweges und die Einhaltung der Verfahrten verantwortlich war, verhinderten
das. Keiner forderte die Einleitung eines Fehlanflugverfahrens (Durchstarten).
Das Flugzeug kollidierte mit der Antenne des LMM (was Ausdruck für die präzise
Kursführung war) und bekam Bodenberührung, was zum dem tragischen Unfall führte.
Das abgerissene, relativ
unversehrte Cockpit der DM-SCD.
(Sammlung Horst Materna) |
Hauptfahrwerksgondel und
das ausgefahrene Fahrwerk kopftüber nach dem Unfall.
(Sammlung Horst Materna) |
Dabei konnten 23 der
29 Fluggäste, sowie die Flugbegleiterinrn (Stewardessen) Heidemarie Johl,
Henriette Albrecht und Tosca Graf nur noch Tod geborgen werden. Ein lebend
geborgener Fluggast erlag noch später seinen Verletzungen. Das Flugzeug brannte,
doch die Feuerwehr konnte durch den aufgeweichten Boden und verschiedenen
Drainagegräben nur schwerlich zum Flugzeug vordringen.
Das Cockpit wurde
abgerissen und gelangte nicht in Brand, die Cockpitbesatzung überlebte ohne
größere Verletzungen das Unglück kamen aber in Untersuchungshaft nach
Berlin-Rummelsburg und später vor Gericht.
Alle drei Besatzungsmitglieder, sowie
der Radarflugleiter wurden zu unterschiedlichen Haftstrafen verurteilt, welche
jedoch später zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt.
Copilot und Navigator
flogen nach einigen Jahren wieder bei INTERFLUG,
der Kapitän bekam eine Anstellung bei der Flugsicherung, wo er sich bis zum
Schichtleiter beim ATCC in Berlin qualifizierte. Der ehemalige Radarflugleiter
aus Dresden ist inzwischen verstorben.
Aus dem Unfall wurden
eine Reihe von wichtigen Lehren, sowohl für den Flugbetrieb, die Flugsicherung
als auch für die Brandbekämpfung und Bergung gezogen.
Nur die LMM wurden erst
nach der Wiedervereinigung Deutschland auf allen ostdeutschen Flughäfen
abgebaut. Allerdings waren bereits zuvor, vor allem wegen neuerer Technik, die
Antennen verkleinert worden.
Nach dem Unfall übernachteten die Besatzungen bei
den Messeflügen jeweils zweimal, so dass zwischen der Ankunft am späten Abend
und dem Abflug am frühen Morgen ein Tag der Ruhe lag. Das wurde sicherlich von
allen beteiligten Crews sehr begrüßt.
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Der Nachruf auf die drei beim Leipzig-Unfall ums Leben gekommenen Stewardessen der INTERFLUG in der Betriebszeitung "Start".
(Sammlung
G.Ritter)
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