Die alte INTERFLUG im www
Historische Betrachtungen zur einstigen DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG

last updated:
29.08.2016


Revision 3.0
Heißluftprobleme

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Die Katastrophe der IL-62 DM-SEA am 14. August 1972 bei Königs Wusterhausen ist früheren IF-Mitarbeitern wohl unauslöschlich in Erinnerung. Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder fanden dabei den Tod. Jeder wird sich auch an die nebenstehende Titelseite der 2. August- Ausgabe 1972 unserer Betriebszeitung „START“ erinnern.

Obwohl die Ursachen für dieses Ereignis nicht bei der Interflug lagen, wurden besonders die Mitarbeiter der Flugtechnik dadurch sehr sensibel für alle Beanstandungen der Heißluftbereiche von Klimaanlagen unserer Flotten.

Nach den ersten Mitteilungen zur Katastrophe wurde über die eigentliche Ursache kaum etwas veröffentlicht.
Der Flugzeughersteller weigerte sich lange die Ergebnisse der DDR-Untersuchungen und die Herleitungen der DDR-Untersuchungs-
kommission zum Ablauf der Katastrophe anzunehmen.

Danach war eine Heißluftundichtheit zwischen Spant 87 u. 95 Ursache dafür. Ausgetretene Heißluft von ca. 300°C beschädigte in diesem Bereich verlegte Elektrokabel, was zum Kurzschluß führte und die elektrische Höhenflossensteuerung funktionsuntüchtig machte.

Durch die nachfolgende Brandentwicklung wurde der Festigkeitsverband in diesem Bereich derart geschädigt, dass das Heck der Maschine beim Rückflug nach Schöne feld über Königs Wusterhausen abbrach. Danach auch das Rumpfvorderteil. Die Wrackteile brannten vollständig aus.

start_kw


Bereits einige Monate nach der Untersuchung wurden aber verschiedene konstruktive Änderungen im o. g. nichthermetischen Rumpfbereich vorgenommen, die letztlich als Bestätigung der Richtigkeit der Untersuchungsergebnisse gewertet werden können.

So wurde an den restlichen 5 IL-62 DM-SEB, -SEC, -SEF, -SEG und -SEH der Interflug ein ganzer Komplex von Bulletinarbeiten durch Werksbrigaden des Herstellerwerkes Kasan direkt in Berlin-Schönefeld ausgeführt.

Unter anderem wurde

  • der Druckspant 85 mit Sichtfenstern versehen, die Sichtkontrollen des Technischen Raumes bis zum Spt. 95 während des Fluges aus der Druckkabine heraus ermöglichten,
  • alle Kabel wurden in ausreichendem Abstand zu Heißluftrohren verlegt und mit Abschottungen bzw Wärmedämmung versehen,
  • Brandmelder wurden im technischen Raum zwischen den Spt. 85 und 95 installiert,
  • es wurden zusätzliche Wärmeschotts zur Raumteilung neben Heißluftrohren eingebaut und Wärmedämmmatten eingebracht, sowie im Bereich von Trennstellen breitere Glasfaserman-schetten verwendet und
  • zur Vermeidung der eigentlichen Ursache (Undichtheit) wurden sämtliche Trennstellen bis zum unhermetischen Klimaanlagenraum (Spt. 42 bis 46) ob Rohrleitungen oder Geräte, wie z. B. Stellklappen, konstruktiv für die Verwendung neuer verbesserter Dichtungskomplexe geändert.

Der Anhang 1 des Gesamtbeitrages zeigt einige von Interflug als Arbeitsunterlage eingeführte Heißluftschemen u. a. für die Il-62, sowie TU-134 und TU134A. Die Idee für die Schaffung solcher Unterlagen stammte auch aus der Zeit nach der DM-SEA-Katastrophe, als wir auch die Fristen für Dichtheitsüberprüfungen der Heißluftanlage zeitweilig auf ca. 25 Fh (!) verringerten.
Die Beschreibung der Trennstellen nach dem Reparaturhandbuch oder ähnlichen Unterlagen wäre zu unübersichtlich gewesen und schloss dadurch mögliche Verwechslungen nicht eindeutig aus.

Alle mit Nummern bezeichneten Trennstellen wurden von uns in die periodische Dichtheitsprüfung einbezogen, teilweise über den Rahmen der sowjetischen Wartungsvorschrift hinaus.
Auf dem Schriftfeld vom IL-62-Blatt 1 sind übrigens drei Bulletins genannt, die u. a. unten dargestellten Trennstellenänderungen einführten. Diese konstruktiven Einzelheiten des neuen Dichtungskomplexes (obere Reihe), so unserer baldigen Erkenntnisse, schlossen Montagefehler und damit auch Undichtheiten weitgehend aus.

Nachdem ausreichende Erkenntnisse über einen positiven Trend bei Dichtheitsüberprüfungen vorlagen, konnte der zeitliche Abstand der Dichtheitsüberprüfungen vergrößert werden und erreichte bald Fristen, die weit über der Vorgabe der OKB-Wartungsvorschrift für IL-62 vor der DM-SEA-Katastrophe lagen.

trennstellen

 

Typische Trennstellen für Rohrleitungen der Klimaanlage IL-62

Oben:
für heiße Bereiche mit hohem Innendruck, neuer Dichtungskomplex aus
Stützring (innen, eingesetzt in das Rohr),
2 Federringen u. temperaturbeständiger Gummimanschette (rot)
Mitte:
für warme Bereiche mit geringem Innendruck, alte Konstruktion (IL-typisch, bereits bei IL-18 eingesetzt),
AL-Ring trägt aufgespritzten Dichtgummi (rot), 2 verschraubte profilierte Ringmuttern sorgen für eine Zentrierung der Börtelränder der Rohre u. der Dichtung
Unten:
für kalte Bereiche mit sehr geringem Innendruck (Ventilation) ohne Verwendung einer Dichtung, ein konischer Innenring sorgt für die erforderliche Zentrierung aller verschraubten Teile

Wir erreichten eine nochmalige wesentliche Verbesserung der Befunde, seitdem wir die Überprüfung der Dichtheit vom Vorfeld in den IF-Hangar verlegten. Damit waren wir unabhängig von Wind- und Wetter-Einflüssen. Dabei wurde ein Außenbordgerät A86M des Startdienstes genutzt, das eigentlich zum TW-Anlassen diente. Erforderlich war dafür ein spezielles Genehmigungsverfahren, da unsere alte Hallenbetriebsordnung das Betreiben der Gasturbine im A86M und das Rumpfabdrücken nicht im Hangar zuließ!

Durch die Nummerierung der verschiedenen Trennstellen aller Anlagenvarianten war ihre Kontrollierbarkeit nicht nur in der Flugzeugdokumentation eindeutig und unverwechselbar gegeben. Feststellung der Trennstellenundichtheit, Dichtungswechsel und abschließende Kontrolle der Dichtheit konnten dadurch ohne Verwechslungsgefahr auch von verschiedenen Technikern zu verschiedenen Zeiten in rollendem Schichtbetrieb ausgeführt werden.

Außerdem war eine Erfassung für die Störstatistik durch die Gruppe Wartungsmethodik in der ITA und eine Auswertbarkeit über aussagefähige k1000 - Faktoren möglich. Dieser Faktor drückt aus, wieviele Ausfälle ( hier Undichtheiten) pro 1000 Fh zu verzeichnen waren. Trends einer regelmäßigen Auswertung machten nicht nur Vergleiche bei gleichem Flugzeugtyp mit unseren Partnern in der Berliner Vereinbarung (z. B. CSA und LOT) möglich.

Man konnte vom Trend des Faktors auch ableiten, ob die festgelegten Wartungsarbeiten in Verbindung mit den Wartungsfristen greifen oder umgehende Veränderungen nötig waren.

An Flugzeugen TU-134 / A wurden zur Verbindung von heißluftführenden Rohren Muffen verwendet. Eine Konstruktion, die uns nach den anfänglichen Heißluftproblemen der IL-62 nicht recht behagte. Diese temperaturbeständigen Muffen bestanden aus mehreren Lagen Glasgewebe, die untereinander mit Silikon vergossen waren.
Bereits in den ersten Betriebsjahren der Flotte wurden besonders im hinteren Laderaum oft Erwärmungen der Blechverkleidungen während des Fluges festgestellt.

Die Ursachen waren verschiedener Natur: Durch schweres Ladegut wurde sehr leicht die Laderaumverkleidung eingebeult, wodurch es zum Kontakt mit den dahinterliegenden heißen Rohren kam. Meist war das unerheblich und konnte nach dem Flug durch Wiederherstellen des vorgesehenen Abstandes zwischen beiden Teilen leicht beseitigt werden.

Übrigens:
Die Klimaanlage der TU-134 / A existierte bei der IF hinsichtlich ihrer konstruktiven Ausführung in
ca. 6 verschiedenen Varianten. Aus den Schemen der Anlage 3 des Gesamtbeitrages sind die Kombina-tionen abhängig von der Flugzeugwerknummer erkennbar. Für Ersatzteilhaltung und Betrieb war das manchmal nicht nur ein (Kosten)-Problem!

Es kam aber auch zu anderen Erscheinungen: Nicht immer hielt das Heißluftrohr in o. g. Fällen stand und verformte sich. Dadurch kam es leicht zum Verrutschen der Muffe und / oder zur Undichtheit an einer Einbeulung. Für einige Bereiche (hinterer Laderaum und ein Teil der hinteren Passagierkabine) wurden bei allen Betreibern der BV nach häufigen Undichtheiten o. g. Art bereits im Oktober 1975 das Bulletin 518DK-AN eingeführt.

In der untenstehenden Abbildung ist daraus links die alte Befestigungsart mit herkömmlichen Schellen gezeigt.
Auf der rechten Seite sieht man oben 2 neueingeführte Spannseile, die an beiden Rohrenden mit Schellen verschraubt, das Auseinanderrutschen der Rohre verhindern. Rechts unten ist schrägliegend eines von 2 Federpaketen mit Schellen auf der Muffe montiert.
Das Federpaket wird mit einem vorgegebenen Moment vorgespannt und sorgt damit für einen sicheren Sitz der damit stabileren und besser dichtenden Schellen-Muffen-Kombination.

befestigung

Diese aufwendige Konstruktion erhöhte zwar minimal die Rüstmasse, hat sich beim weiteren Betrieb aber doch bewährt.
Trotzdem kam es bei der TU-134 / A an zwei anderen Schwerpunkten immer wieder zu Überhitzungen und Folgeschäden an wichtigen Geräten bzw deren Kabel, wie
                dem Sender-/Empfänger-Block Nr. 2 der Transponderanlage SO-70 am Spt. 38 links und
                dem Wechselstromumformer PO-4500 für die 115 V-Versorgung im 3. Techn. Raum.

Wie jeder meiner ITA-Kollegen hätte auch ich damals ein Lied davon singen können, wie stur und abweisend sowjetische Dienststellen sich verhalten konnten, wenn wir als Betreiber mit Hinweisen oder gar Forderungen zur Änderung ihrer konstruktiven Lösungen vorstellig wurden.
Jeder mit der Materie etwas Vertraute weiß, welche Auswirkungen durch einen Ausfall vorgenannter Geräte auf den Betrieb wichtiger Gerätekomplexe während des Fluges trotz Doublierung ausgehen können. Deshalb wollte und mußte für diese Themen eine saubere Lösung erreicht werden.

Die sah dann vom Titelblatt her so aus:

bulletin

Ein 20-seitiger Bulletin-Entwurf in russischer Sprache, der von erforderlichen Arbeitsabläufen, über detaillierte Skizzen, Zeichnungsnummern zu verwendender sowjetischer Originalteile, natürlich auch die Angabe der Verbindlichkeit für entsprechende Flugzeug-Werknummern alles enthielt. Für mein „Gegenüber“ im sowjetischen Konstruktionsbüro der Klimaanlage eigentlich die „halbe Miete“. Um dort die Akzeptanz dieser Vorschläge noch zu erhöhen signalisierten wir durch Vorgabe der Klassifizierung BU-AB die Kostenübernahme für die Bulletinausführung durch uns als Halter.

Als Antwort wurde kurze Zeit danach das im Anhang 2 des Gesamtbeitrages als Kopie enthaltene Bulletin 2020-BU-AB eingeführt.
Nur die Position 4 (Einbau selbstspannender Schellen für die Trennstelle der Kabinenheizung am Spt. 38, dem Transponderbereich) wurde nicht übernommen. Dafür wurden aber zeitgleich anstelle der üblichen temperaturbeständigen Muffen in der Kabinenheizung während der weiterlaufenden Flugzeugproduktion Wellrohrkompensatoren aus Stahl zur Vermeidung von Undichtheiten durch die bei Betriebstemperatur entstehenden beträchtlichen Längenveränderungen eingesetzt.
Nur eine andere Lösung für unser erkanntes Problem.
Für unseren Flugzeugbestand haben wir dann als IF-Änderung die bewusste Trennstelle der Kabinen-heizung am Spt. 38 mit Originalteilen gemäß o. g. Bulletin 2020 und einer abschirmenden Glasfasermanschette selbst bestückt.

An dieser Stelle muß unbedingt erwähnt werden, dass parallel zu unseren Massnahmen die anderen Fachgruppen selbstverständlich eigene Untersuchungen zur fachlichen Klärung und Festlegungen zur nachhaltigen Beseitigung solcher Beanstandungen anstellten. Bei Erreichen festgelegter k1000 -Schwellwerte wurden ohnehin in Verbindung mit der jeweiligen Fachgruppe der Techn. Prüfung Maßnahmen abgestimmt. In besonderen Fällen wurde sogar die SLI tätig.

Nach wiederholtem Auftreten des Umformerproblems nahm z. B. der FB Elektro zum bekannten ehemaligen Berliner VEB Elektrokohle Kontakt auf. Durch die E-Werkstatt wurden längere Zeit Kohlebürsten dieses Herstellers im betroffenen Umformertyp getestet.
Der Verfasser kann aus heutiger Sicht nicht mehr den genauen Ablauf wiedergeben. Ich denke, dieser Versuch wurde irgendwann abgebrochen.     

Der Betrieb unserer TU-134 / A-Flotte zeigte nach Einführung des Zelle-Bulletins jedenfalls bezogen auf die oben beschriebenen Ausfallschwerpunkte PO-4500 und SO-70 bis zum Ende der IF dann keine Auffälligkeiten mehr.

Meine damaligen Kollegen der Fachgruppen

  Elektro, Ingo Lustig und Uwe Scharnow
Funk, Roland Schneider und Klaus Thöniß,
 

konnten damit wieder von normalen Betriebsbedingungen für ihre Anlagen ausgehen.
Im Interesse der Flugsicherheit hatte der beschriebene, für mich etwas aufwendige (Um-)Weg sich gelohnt und uns auch für den Betrieb der TU-134A-Flotte die gewünschten Ergebnisse gebracht.

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